Urteilsübersicht
Dekubitusprophylaxe
OLG Köln, Urteil vom 04.08.1999 (Az: 5 U 19/99)
Urteil des OLG Köln 5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum: 04.08.1999, Aktenzeichen: 5 U 19/99
Schmerzensgeldanspruch und -höhe bei Dekubitusgeschwürbildung im Falle stationärer Schwerstkrankenbehandlung; Vermutungswirkung für grobe Pflege- und Lagerungsmängel; Angemessenheit des Schmerzensgeldes
Orientierungssatz:
- Das Auftreten von Druckgeschwüren im Falle der stationären Krankenhausbehandlung eines schwerstkranken Patienten ist nicht auf dessen schlechten Gesundheitszustand zurückzuführen, sondern läßt regelmäßig auf schwere ärztliche Behandlungsfehler und grobe Pflege- sowie Lagerungsmängel schließen.
- Bei einem Dekubitus von 17 cm Durchmesser, 6 cm Tiefe, teilweise freiliegender Wirbelsäule sowie verbleibender Schmerzhaftigkeit beim Sitzen und Gehen nach Ausheilung ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 DM angemessen.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 11.01.1999 - 11 O 280/96 - wird zurückgewiesen. Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Urteilsgründe:
- Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat der Klage mit eingehender und überzeugender Begründung zu Recht stattgegeben. Zutreffend hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens bejaht. Angesichts der überaus sorgfältigen Begründung des landgerichtlichen Urteils besteht im Hinblick auf das Berufungsvorbringen lediglich noch zu folgenden ergänzenden und klarstellenden Ausführungen Veranlassung:
- Zu Recht ist das Landgericht den weiteren Beweisangeboten der Beklagten nicht nachgegangen, nach deren Vortrag über die dokumentierten Maßnahmen hinaus weitere pflegerische Maßnahmen erfolgt sein sollen. Dem diesbezüglichen Beweisangebot der Beklagten war deshalb nicht zu entsprechen, weil der ihm zugrundeliegende Sachvortrag nicht ausreichend substantiiert ist. Die Beklagten haben lediglich vorgetragen, es werde in das Wissen der vorbezeichneten Pflegekräfte gestellt, dass diese während ihres jeweiligen Dienstes den Kläger auch häufiger gepflegt bzw. gewendet hätten als dies in den Pflegeberichten vermerkt wurde. In diesem Zusammenhang weisen die Beklagten selbst darauf hin, dass sich die Zeugen natürlich heute nicht mehr an minutengenaue Angaben erinnern können und insoweit auch kein weitergehender substantiierter Vortrag erfolgen könne. Dieses Vorbringen ist jedoch nicht ausreichend substantiiert, um eine Beweisaufnahme zu veranlassen. Zwar wären keine minutengenauen Angaben für einen substantiierten Vortrag zu verlangen gewesen, wohl aber eine Angabe dazu, in welchem turnusmäßigen Zeitraum beispielsweise Lageveränderungen des Klägers durchgeführt worden sein sollen bzw. was sonst an pflegerischen Maßnahmen in diesem kritischen Zeitraum erfolgt sein soll und weshalb diese angeblichen weitergehenden Maßnahmen nicht dokumentiert worden sind. Die Beklagten hätten zumindest vortragen können, es sei z.B. der Kläger im zwei-Stunden-Rhythmus umgelagert worden, und in einem entsprechenden zeitlichen Turnus sei das Dekubitusgeschwür auch gereinigt bzw. eingecremt worden. Der pauschale Vortrag, der Kläger sei häufiger gepflegt und gewendet worden als in den Pflegeberichten vermerkt, reicht nicht aus und läuft auf eine Ausforschung durch Vernehmung von Zeugen hinaus. Im übrigen haben die Beklagten auch - wie bereits erwähnt - keine auch nur einigermaßen nachvollziehbare Erklärung dafür angeboten, weshalb weitergehende Maßnahmen in den Pflegeberichten nicht vermerkt worden sein sollen, obwohl angesichts des Vorhandenseins dieser formularmäßig vorgefertigten Pflegebögen es bei den Beklagten doch gerade zum pflegerischen Standard gehören musste, eine ausreichende Dekubitusprophylaxe durchzuführen und auch zu dokumentieren.
- Dass die Pflege des Klägers im fraglichen Zeitraum schwere Defizite aufgewiesen hat, ergibt sich mit Deutlichkeit aus den Ausführungen des erstinstanzlichen Sachverständigen Prof. Dr. M.. Sowohl nach dessen Ausführungen als auch nach seiner beruflichen Funktion und Qualifikation ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass er in hervorragender Weise geeignet ist, die Qualität einer Krankenpflege - insbesondere in Richtung auf die gebotene Vorsorge gegenüber der Gefahr der Ausbildung von Dekubitusgeschwüren - zu beurteilen; denn gerade als langjähriger Leiter einer geriatrischen Klinik war er - dies auch nach seiner eigenen Bekundung - wiederholt mit dem Auftreten von Dekubitusgeschwüren beschäftigt, hat zu diesem Thema bereits einen Kongress organisiert und verfügt deshalb insoweit über qualifizierte Kenntnisse und Erfahrungen. Prof. Dr. M. hat mit nicht zu überbietender Deutlichkeit festgestellt, dass - auch bei schwerstkranken Patienten - das Auftreten von Dekubiti immer vermeidbar ist, sei es durch häufige Umlagerung, die auch bei Erkrankungen der beim Kläger vorliegenden Art durchaus möglich ist, sei es durch Eincremen oder/und aber durch Einsatz von Spezialbetten. Die Ausführungen des Sachverständigen, die das Landgericht bereits zutreffend und ausführlich gewürdigt hat, überzeugen insbesondere auch deshalb, weil die Dekubiti beim Kläger just an den Körperstellen aufgetreten sind, auf denen der Aufliegedruck bei längerem Liegen ohne Lagewechsel besonders stark ist. Die Ausführungen des Sachverständigen dazu, dass die beim Kläger aufgetretenen Dekubiti schwere Versäumnisse der ärztlichen Überwachung und pflegerischen Betreuung zeigen und dass nach den Pflegeberichten jedenfalls zwischen dem 07. und 10.01.1996 die notwendige Lagerung sträflich vernachlässigt wurde, sind in jeder Hinsicht überzeugend und nicht ergänzungsbedürftig, dies insbesondere vor dem Hintergrund der weiteren Ausführungen des Sachverständigen, wonach bei dem schwerstkranken Kläger eine zweistündige Lagerungsänderung zwingend erforderlich gewesen wäre und im übrigen weitaus zu oft eine Lagerung auf dem Rücken erfolgte, wobei eine weitere Verschlechterung des Dekubitus durch über Stunden anhaltenden direkten Auflagedruck in Kauf genommen wurde. Die vom Sachverständigen so bezeichneten schweren Defizite hinsichtlich der pflegerischen Aktivitäten sind zweifelsohne in Übereinstimmung mit dem Landgericht als schwere Behandlungsfehler zu werten.
- Die Beklagten haben auch nicht etwa zu beweisen vermocht, dass gleichwohl das Auftreten der Dekubiti beim Kläger nicht auf diesen Behandlungsfehlern beruht. Gerade das Gegenteil ergibt sich vielmehr aus den weiteren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. M., die insbesondere auch deshalb überzeugen, weil auch durch die vom Kläger vorgelegten Fotos ohne weiteres nachvollziehbar wird, dass derart umfängliche und tiefgehende Geschwürbildungen schlechterdings nur auf einem gänzlich unzulänglichen Pflegestatus beruhen können. Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang auch die Behauptung der Beklagten widerlegt, dass die schwere Geschwürbildung auf dem schlechten gesundheitlichen Gesamtzustand des Klägers beruhe. Nach seinen Ausführungen sind auch bei Schwerstkrankheitsfällen Dekubiti - jedenfalls aber solche des vorliegenden Ausmaßes - ohne weiteres vermeidbar, wenn häufige Lageänderungen durchgeführt oder aber Spezialbetten eingesetzt werden. Überzeugend hat der Sachverständige in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass gerade bei einem schwerstkranken Patienten besondere Zuwendung - auch im pflegerischen Bereich - zu verlangen ist und dann auch zur Vermeidung von Dekubiti führt. Selbst wenn der Kläger seinerzeit in medizinischer Hinsicht als moribund gewertet wurde, entband dies die behandelnden Ärzte bzw. das Pflegepersonal nicht von der Anwendung der auch bei einem sonstigen kranken Patienten gebotenen pflegerischen Sorgfalt.
- Nach allem ist ein Schadensersatzanspruch der Beklagten zu bejahen, wobei das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld angesichts des auch fotografisch dokumentierten Zustandes des Klägers als Folge der pflegerischen Defizite eher an der unteren Grenze des Angemessenen liegt.
Die Berufung der Beklagten war deshalb mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO.
Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer der Beklagten: 30.000,00 DM (25.000,00 DM + 5.000,00 DM)
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